Während der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch in Deutschland und in anderen Industrieländern stagniert, steigt die globale Nachfrage weiter an – aufgrund des starken Bevölkerungswachstums in vielen Teilen der Welt und aufgrund des wachsenden Wohlstands in den Schwellenländern. Ein erfolgversprechender Weg, um den wachsenden Bedarf nach Proteinen zu decken, ist Clean Meat, also die Herstellung von ‘echtem’ Fleisch, ohne dass Tiere dafür sterben müssen. Was sich vor wenigen Jahren noch nach befremdlicher Science Fiction angehört hat, steht nun an der Schwelle zum Markteintritt. Auf dem langen Weg bis in die Supermarktregale gibt es aber noch einige technische und rechtliche Hürden.
Was ist Clean Meat?
Prognosen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf über 10 Milliarden Menschen anwachsen wird. Zudem steigt in vielen Gesellschaften der Wohlstand, der sich für viele Menschen auch darin ausdrückt, sich mehr Fleisch leisten können. Auf Basis dieser Prognosen rechnet die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) damit, dass die Nachfrage nach Fleisch bis 2050 gegenüber 2006 noch einmal um 85 Prozent steigen wird.
Selbst bei leidenschaftlichen Fleischessern setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass das jetzige System der Landwirtschaft nicht geeignet ist, um damit 10 Milliarden Menschen zu ernähren. Selbst wenn man alle ethischen Argumente zum Tierwohl und den Beitrag der Tierhaltung zur globalen Klimakrise außer Acht lässt – es gibt schlicht zu wenig Flächen und nutzbares Wasser auf der Erde, um den Proteinbedarf weiter hauptsächlich über Fleisch und andere tierische Produkte zu decken.
Darum forschen weltweit Unternehmen und Universitäten an Alternativen für die Ernährung von Menschen. Ein durchaus erfolgreicher Weg zur Erschließung von alternativen Proteinquellen ist die Herstellung von Fleisch- und Milchersatzprodukten auf pflanzlicher Basis, wie es heute schon geschieht. Der Markt dafür wächst rasant und rückt immer weiter in die Mitte der Gesellschaft vor. Da es den Herstellern immer besser gelingt, Geschmack, Konsistenz und Aussehen von konventionellen Produkten zu imitieren, sinkt auch die Hemmschwelle bei Verbrauchern, auf diese Alternativen zurückzugreifen.
Der Clean-Meat-Ansatz geht einen Schritt weiter: Mit der Technologie wird ‘echtes’ Fleisch hergestellt, das wie konventionelles Fleisch aus der Tierhaltung schmeckt, das wie Fleisch riecht und sich im Mund auch so anfühlt. In dem Produktionsverfahren wird Fleisch nicht nur nachgeahmt, sondern tatsächlich hergestellt – allerdings in einem biochemischen Verfahren statt durch das Mästen und Schlachten von Tieren.
Neben Clean Meat gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Bezeichnungen für die junge Technologie. Die Liste der Synonyme ist lang: In-vitro-Fleisch, Kultiviertes Fleisch, Kunstfleisch, Laborfleisch, Retortenfleisch, Fleisch aus dem Reagenzglas, Produkte aus der zellulären Landwirtschaft. Der Begriff Clean Meat hat sich am breitesten durchgesetzt, allerdings verengt er das Thema auch etwas. Denn längst arbeiten weltweit Foodtech-Startups, Wissenschaftler und die etablierte Lebensmittelindustrie auch an Technologien zur Herstellung von künstlichen Milchprodukten und Eiern. Zudem werden auch Fische und Meeresfrüchte aus Zellkulturen entwickelt, denn es wird immer deutlicher sichtbar, dass die Zucht in Aquakulturen keine nachhaltige Alternative zum Fang von Meerestieren darstellt.
Bei Clean Meat wird Fleisch nicht nur nachgeahmt, sondern künstlich hergestellt | New Africa @ Adobe Stock
Wie funktioniert die Herstellung von Clean Meat?
Für die Herstellung von Clean Meat greifen die Hersteller auf eine Technologie zurück, die aus der Medizintechnik stammt und in der Humanmedizin etwa für Hauttransplantationen angewendet wird. Dabei stammt das Fleisch nicht von getöteten Tieren, sondern wird künstlich in einer Nährlösung gezüchtet. Mit dem Verfahren werden die Prozesse in der Natur mittels modernster Technologie nachgeahmt.
Vereinfacht kann man sich das wie folgt vorstellen: Dem Tier, etwa einem Rind, werden Stammzellen aus dem Muskelgewebe entnommen. Das Tier wird dabei nicht getötet und erleidet laut Veterinären dabei so gut wie keine Schmerzen.
Mit den extrahierten Zellen wird dann in einer Nährlösung eine Zellkultur angelegt: Dort teilen und vermehren sich die Zellen und wachsen zu Muskelfasern heran. Die Fasern werden durch elektrische und mechanische Impulse ‘trainiert’ und wachsen zu festem Muskelgewebe heran, das von ‘echtem’ Fleisch nicht mehr zu unterscheiden ist. Häufig werden die Muskelfasern dann noch mit auf gleichem Weg erzeugten Fettzellen gemischt, um den Geschmack zu verbessern. Das entstandene In-Vitro-Fleisch kann dann entsprechend weiterverarbeitet werden – zu Burgern, Nuggets etc. Dieser Prozess dauert insgesamt mehrere Wochen.
Auf dem Teller landet also ein Stück Fleisch, das in dieser Form nie auf einer Weide oder in einem Stall gestanden hat. Du beißt in einen Burger, der sich wie echtes Fleisch anfühlt und auch so schmeckt und riecht, aber das Tier, von dem das Fleisch stammt, steht noch quicklebendig auf der Weide.
Aus einer einzigen Stammzellentnahme können theoretisch sehr große Mengen von kultiviertem Fleisch gewonnen werden. So geht das niederländische Foodtech-Startup Mosa Meat davon aus, dass es aus einer kleinen Entnahme mehr als 80.000 Quarter-Pounder-Patties herstellen könnte.
Das Grundprinzip ist bei allen Anbietern gleich, doch es gibt auch Variationen. Insbesondere in den USA forschen Unternehmen auch an gentechnischen Verfahren zur Herstellung von künstlichem Fleisch.
Technische Herausforderungen auf dem Weg zur Marktreife
Schon im Jahr 1932 hat der britische Premierminister Winston Churchill angeblich einmal gesagt: ‘Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medium züchten.’ Das ist lange her. Bis Clean-Meat-Produkte im Supermarkt und damit im Alltag der Verbraucher ankommen, wird es noch ein klein wenig Zeit brauchen.
Erst jetzt gelangt die Branche langsam an den Punkt, an dem die Produkte auch in industriellem Maßstab hergestellt werden. Mehrere Unternehmen sind gerade dabei, Produktionsanlagen zu errichten, so etwa Upside Foods aus den USA und Future Meat aus Israel. Am Anfang des Markthochlaufs steht dabei nicht das Endkundengeschäft im Supermarkt, sondern die Belieferung von ausgesuchten Restaurants. So können die Kunden des Restaurants Club 1880 in Singapur seit Dezember 2020 kultiviertes Hühnchenfleisch bestellen. Der Preis dafür beträgt umgerechnet rund 15 Euro. Der südostasiatische Stadtstaat war das erste Land weltweit, das Clean Meat für den Verkauf an die Endverbraucher freigegeben hat.
Eine wirkliche Alternative zur konventionellen Fleischproduktion durch Tierhaltung wird die Clean-Meat-Technologie erst dann, wenn sie im industriellen Maßstab angewendet werden kann. Hierfür haben die Hersteller noch eine Reihe von technischen Hürden zu überwinden.
Die größte Herausforderung ist es, die Herstellungskosten so zu senken, dass die Produkte es mit konventionellen Fleisch- und Milchprodukten aufnehmen können. Die Herstellungskosten des ersten kultivierten Hamburgers, der 2013 von Mosa Meat vorgestellt wurde, lag bei rund 250.000 Euro. Inzwischen konnten die Herstellungskosten deutlich gesenkt werden und liegen geschätzt bei 10 Euro pro Burgerpatty, wenn sie im industriellen Maßstab hergestellt werden. Damit kosten Clean-Meat-Produkte keine astronomischen Summen mehr, sind aber noch immer weit entfernt von den hoch subventionierten Verbraucherpreisen für konventionelle Fleischprodukte.
Eine zweite Herausforderung ist die Nährlösung, mit der das Zellwachstum angeregt wird. Wirklich ‘clean’ im Sinne von tierleidfrei waren die kultivierten Produkte der ersten Generation nicht. Denn die Nährlösung bestand in der Regel aus Kälberserum, das aus dem Herzen eines Embryos abgezapft wurde. Dabei wurden sowohl das Kalb als auch seine Mutter getötet. So hergestellte Produkte sind natürlich alles andere als tierleidfrei.
Allerdings wird auch an diesem Punkt intensiv geforscht, und die Unternehmen haben Wege gefunden, um Kälberserum durch pflanzlich gewonnene oder synthetisch produzierte Nährlösungen zu ersetzen. Hier werden unterschiedliche Wege verfolgt, etwa der Ersatz von Kälberserum durch Substanzen aus Algen. Die Unternehmen, die mit ihren Produkten tatsächlich vor einem Markteintritt stehen, betonen dass sie kein Kälberserum als Nährlösung verwenden.
Eine weitere Baustelle ist die Struktur von Fleisch. Die ersten Prototypen von Clean-Meat-Produkten waren nicht ohne Grund Hackfleisch-Burger-Patties und nicht etwa Steaks. Die Herstellung von komplexen Proteingeweben mit fester Struktur, wie etwa Steaks, ist deutlich anspruchsvoller. Bis man im Restaurant ein vollwertiges T-Bone-Steak aus In-Vitro-Produktion bestellen kann, wird es also deutlich länger dauern, als etwa bei Burgern oder Nuggets.
Die ersten In-Vitro-Produkte werden bald im industriellen Maßstab hergestellt | @ Supermeat
Was spricht für die Herstellung von Clean Meat?
Wichtigster Treiber für den Technologietrend ist die weiter steigende Nachfrage nach Fleisch infolge des weltweit anhaltenden Bevölkerungswachstums. Die Erschließung von alternativen Proteinquellen kann eine entscheidende Antwort auf die Frage sein, wie sich 10 Milliarden Menschen auf der Erde ernähren lassen, ohne dass sich das Problem des Welthungers weiter verschärft.
Zudem versprechen sich Befürworter der Clean-Meat-Technologie, dass sie die meisten ethischen und ökologischen Probleme der heutigen Ernährungsindustrie auf einen Schlag lösen könnte:
- Der größte Gewinner dieser Entwicklung wären die Tiere. Weltweit werden jährlich 60 Milliarden Landtiere und Billionen von Meerestieren für die Nahrungsmittelproduktion getötet. Wenn Clean Meat zu wettbewerbsfähigen Preisen und demselben Geschmackserlebnis zur Verfügung steht, entfällt endgültig jede Rechtfertigung für die Tötung von unendlich vielen ‘Nutztieren’.
- Nahezu alle Umweltprobleme der konventionellen Massentierhaltung – die Emission von Treibhausgasen, der überbordende Flächenbedarf, der enorme Wasserverbrauch, die Überdüngung der Böden – fallen bei der Gewinnung von Clean-Meat entweder gar nicht oder nur noch minimal an. Offen ist hingegen noch, wie es um die Energiebilanz des Verfahrens steht, denn der Betrieb von großen Bioreaktoren dürfte viel Energie benötigen.
- Nicht zu unterschätzen sind die positiven Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit: Fleisch aus konventioneller Herstellung enthält häufig Medikamentenrückstände und Krankheitserreger. Durch die In-Vitro-Herstellung entfällt dies und damit auch die Gefahr durch multiresistente Keime.
- Zu den Ineffizienzen des gegenwärtigen System gehört, dass viele Tiere umsonst sterben und dass ein Großteil des geschlachteten Tieres als ‘Schlachtabfall’ ungenutzt bleibt. Im In-Vitro-Verfahren entfällt dies, weil die Hersteller gezielt die gewünschten Teile des Tieres züchten können und Abfälle im eigentlichen Sinne nicht mehr anfallen.
Bei der Akzeptanz ist noch Luft nach oben
Entscheidend für den Erfolg ist natürlich die Akzeptanz bei den Verbrauchern. Weltweit zeigen diverse Studien, dass viele Menschen grundsätzlich offen sind gegenüber kultivierten Produkten – wenn Geschmack und Preis stimmen. Die Zustimmungsraten schwanken stark und bewegen sich in der Regel zwischen 10 und 50 Prozent – je nach untersuchtem Markt und der Fragestellung.
So kommt eine aktuelle Umfrage von YouGov aus dem Juni 2021 eher zu ernüchternden Ergebnissen: Demnach können sich in Deutschland 14 Prozent der Menschen vorstellen, kultiviertes Fleisch zu essen. Diese Werte sollten aber nicht entmutigen, denn zum einen sind geringe Zustimmungswerte bei der Einführung von disruptiven Technologien durchaus üblich. Zum anderen hängt es sehr von der Fragestellung ab, was bei Umfragen herauskommt. Gefragt wurde hier explizit nach ‘Laborfleisch’, was bei vielen Menschen einen negativen Beiklang hat und sich unnatürlicher anhört als etwa ‘Clean Meat’ oder ‘kultiviertes Fleisch’.
Zwischen den einzelnen soziodemographischen Gruppen gibt es teils erhebliche Unterschiede. Jüngere Menschen sind kultiviertem Fleisch gegenüber deutlich offener als ältere Menschen, was nicht wirklich überraschend ist. Auch zwischen Frauen und Männern gehen die Ergebnisse auseinander: Die Akzeptanz bei Männern ist doppelt so hoch wie bei Frauen. Das ist aber kein Hinweis darauf, dass Frauen weniger sensibel gegenüber den negativen Auswirkungen der Massentierhaltung sind, sondern darauf, dass sie eher bereit sind, komplett auf Fleisch zu verzichten als Männer.
Wird sich Clean Meat am Markt durchsetzen?
Viele Menschen, die vegan oder vegetarisch leben, schließen für sich selbst den Verzehr von kultiviertem Fleisch kategorisch aus. Entweder weil es durch die Entnahme der Stammzellen noch diesen Restbereich der Nutzung von Tieren gibt und sie dies nicht wollen. Oder weil sie bewusst auf eine komplett pflanzliche Ernährung umgestiegen sind und gar kein Verlangen nach Produkten haben, die Fleisch und Milchprodukten in Geschmack und Konsistenz gleichen.
Für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung gilt dies allerdings nicht. Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass die Menschen in den kommenden Jahren in Scharen damit aufhören, tierische Produkte zu konsumieren und auf eine vollwertige pflanzliche Ernährung umsteigen. Auch in Deutschland geht der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch zwar leicht zurück, bleibt aber auf sehr hohem Niveau. Insofern stellt die Aussicht auf In-vitro-Fleisch wohl die größte Hoffnung für eine langfristige Umstellung auf ein nachhaltiges und tierleidfreies Ernährungssystem dar.
Veganer und Vegetarier stellen auch gar nicht die primäre Zielgruppe für Produkte aus kultiviertem Fleisch dar. Das Angebot richtet sich eher an die große Masse der Menschen, die ihren Fleischkonsum reduzieren will und dabei offen für tierleidfreie Alternativprodukte ist. Dennoch befürworten die meisten Tierschutzorganisationen die Clean-Meat-Technologie. Denn für den Tierschutz ist das Verfahren auf jeden Fall ein Gewinn.
Auf lange Sicht dürfte In-Vitro-Fleisch einen gewaltigen Anteil am Proteinmarkt ausmachen. Die Unternehmensberatung A.T. Kearney hat im Jahr 2019 prognostiziert, dass der Anteil bereits 2030 bei 10 Prozent liegen dürfte und dann bis 2040 auf 35 Prozent anwachsen könnte. Damit würden Clean-Meat-Produkte dann ein größeres Gewicht haben als pflanzliche Ersatzprodukte und sogar fast an konventionelles Fleisch heranreichen. In diesem Szenario würden Clean-Meat-Produkte und pflanzliche Ersatzprodukte 2040 zusammen rund 60 Prozent des Fleischmarktes ausmachen. Wenn dies so eintreffen sollte, dann würde die Massentierhaltung mit all ihren negativen Begleiterscheinungen deutlich schrumpfen – nicht nur relativ, sondern auch absolut.
Startups aus Silicon Valley und Israel in der Pole Position
Weltweit arbeiten inzwischen mehrere Dutzend Unternehmen dafür, In-Vitro-Produkte auf den Markt zu bringen. Hinzu kommen Unternehmen, die sich als Zulieferer in dem neu entstehenden Markt positionieren. Getrieben wird das Geschäft vor allem von kleinen Foodtech-Startups:
- Wie bei vielen anderen Zukunftstechnologien haben einige der wichtigsten Akteure ihre Heimat in der San Francisco Bay Area in Kalifornien. Darunter finden sich etwa Eat Just, Upside Foods (ehemals Memphis Meats), New Age Meats und Finless Foods. Das letztgenannte Unternehmen arbeitet an der Kommerzialisierung eines kultivierten Blauflossen-Thunfischs, welches der am meisten überfischte Fisch ist.
- Auffällig viele Startups im Bereich der alternativen Proteine gibt es in Israel, das die Markteinführung von kultivierten Produkten intensiv voranbringt. Zu den wichtigsten Unternehmen dort gehören Aleph Farms, Future Meat und Supermeat. In Israel sind einige Unternehmen jetzt soweit, Produktionsanlagen zu errichten. In dem Restaurant ‘The Chicken’ in Ness Ziona können die Gäste heute schon kultiviertes Hühnerfleisch probieren, das von dem Anbieter Supermeat hergestellt wird.
- Auch europäische Unternehmen sind bei dem Thema präsent. So war es mit Mosa Meat ein niederländisches Startup, das 2013 mit viel Tamtam zur Verkostung des weltweit ersten Hamburgers aus kultiviertem Fleisch einlud. Weitere Unternehmen aus Europa sind etwa Ivy Farm Technologies aus Großbritannien, Peace of Meat aus Belgien und BioTech Foods aus Spanien.
- Weniger dynamisch als in den USA und Israel verläuft die Entwicklung im deutschsprachigen Raum. Allerdings gibt es auch hier eine Reihe von Startups, die das Thema Kultivierung vorantreiben. Dazu gehören die Unternehmen Alife Foods aus Leipzig, Innocent Meat aus Rostock und Formo aus Berlin sowie Mira Foods aus der Schweiz. Wann das erste Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum es schafft, ein kultiviertes Produkt zu kommerzialisieren, ist indes offen.
Zunehmend mischen auch Großkonzerne in dem Bereich mit, sei es als Geldgeber für die genannten Startups oder mit eigenen Forschungsaktivitäten. Darunter finden sich Konzerne aus der Tierindustrie, wie etwa Tyson Foods, Cargill oder die PHW-Gruppe, zu der Wiesenhof gehört. In Deutschland arbeiten zudem große Chemie- und Pharmakonzerne wie Evonik und Merck, Handelskonzerne wie Metro Group und Rewe Group an der Zukunftstechnologie.
Auch vermögende und bekannte Investoren wie Bill Gates (Microsoft), Richard Branson (Virgin) und Sergey Brin (Google) haben das Potenzial von Clean Meat erkannt und investieren in die Herstellung von kultivierten Produkten.
Neben wirtschaftlichen Akteuren treiben auch zivilgesellschaftliche Akteure die Erschließung von alternativen Proteinquellen voran. Die internationale NGO The Good Food Institute mit Hauptsitz in Washington und Ablegern unter anderem in Brüssel und Tel Aviv fördert den Know-how-Transfer in dem Sektor und setzt sich für einen wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen für alternative Proteinquellen ein.
Die In-Vitro-Technologie erfordert enorme Investitionen in Forschung und Entwicklung | Microgen @ Adobe Stock
Politische Rahmenbedingungen für den Erfolg von Clean Meat
Bis Clean-Meat-Produkte tatsächlich die Proteinversorgung revolutionieren können, sind neben den beschriebenen technischen Herausforderungen auch aus regulatorischer Sicht noch viele Punkte offen: darunter Fragen zur Kennzeichnung der Produkte und zur Schaffung eines fairen und gleichberechtigten Marktzugangs.
Am wichtigsten ist natürlich ein Rechtsrahmen für die Zulassung, verbunden mit der Klärung von Fragen zur Lebensmittelsicherheit. Weitere wichtige Punkte für die Regulierung der Zukunftstechnologie liegen in den Bereichen Innovationspolitik, Verbraucherpolitik und Steuerpolitik:
- Förderung von Forschung und Entwicklung:
Grundsätzlich sind auch Deutschland, Österreich und die Schweiz prädestiniert dafür, bei der Entwicklung und Herstellung von kultiviertem Fleisch und kultivierten Milchprodukten eine führende Rolle einzunehmen. Schließlich gibt es hier eine stabile Nachfrage nach Alternativen zu Fleisch- und Milchprodukten und auch einen innovativen Mittelstand. Dennoch ist es in anderen Ländern stärker gelungen, ein funktionierendes Ökosystem für die Ansiedlung von Foodtech-Startups zu entwickeln. Staaten wie die USA und Israel unterstützen die Unternehmen mit Fördergeldern und guten Bedingungen. Hier gibt es noch einigen Nachholbedarf. - Schaffung eines Level-Playing-Fields für die Markteinführung:
Für einen erfolgreichen Markthochlauf braucht es auch Regelungen, die Clean Meat und andere kultivierte Produkte nicht gegenüber den klassischen Produkten benachteiligen. Das betrifft zum Beispiel die Kennzeichnung der Produkte und die Besteuerung. In beiden Fällen lassen die Erfahrungen aus dem Umgang der Politik mit pflanzlichen Ersatzprodukten das Schlimmste befürchten: In Deutschland werden Burger aus Erbsenprotein und Milch aus Hafer als Convenience Produkte eingeordnet und mit dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent belegt, während hoch subventionierte tierische Produkte als Grundnahrungsmittel gelten, für die nur 7 Prozent Mehrwertsteuer anfallen. Auf europäischer Ebene konnten Versuche, die Kennzeichnung von pflanzlichen Fleischersatzprodukten zu zensieren (der ‘Veggie Burger Ban’) und die Zensur von pflanzlichen Milchersatzprodukten weiter zu verschärfen, nur mühsam in einer breiten Allianz von NGOs und Herstellern abgewendet werden.
Entscheidend für die Chancen von kultivierten Fleisch- und Milchprodukten wird sein, wie die Politik in Deutschland und Europa solche Rahmenbedingungen setzt. Wirklich angekommen ist das Thema in den politischen Debatten um die Zukunft des Ernährungssystems in Deutschland noch nicht.
Auch ein Blick auf die Wahlprogramme für die bevorstehende Bundestagswahl zeigt, dass Clean Meat darin noch keine große Rolle spielt. Die drei Parteien, die bislang die Regierung tragen, greifen das Thema der Erschließung von alternativen Proteinquellen in keiner Weise auf. Zumindest die Opposition reißt das Thema an: So heißt es im Wahlprogramm der FDP ‘Ebenso setzen wir uns für die zügige Zulassung von In-vitro-Fleisch in der EU ein’ und im Wahlprogramm der Grünen ‘Die Markteinführung von pflanzlichen Alternativen und Fleischersatzprodukten wollen wir fördern und sie steuerlich besserstellen’.
Fazit: Viel Potential, aber es ist noch ein weiter Weg
Clean Meat könnte den Ausstieg aus der konventionellen Tierhaltung einläuten, weil es vielen Menschen die Möglichkeit gibt, an liebgewonnenen Gewohnheiten festzuhalten, ohne dass dafür Tiere sterben müssen. Bei sehr vielen Menschen ist es ohne Zweifel realistischer, dass sie auf kultivierte Fleisch- und Milchprodukte umsteigen, als dass sie sich von den Vorzügen einer rein pflanzlichen Ernährung überzeugen lassen.
Dass kultivierte Produkte ihren Weg nach Deutschland finden und in wenigen Jahren eine Rolle spielen werden, ist eigentlich ausgemacht. Fraglich ist aber, wie viel von der Wertschöpfung dann auch im deutschsprachigen Raum und von den hier ansässigen Unternehmen stattfinden wird. Wie bei anderen disruptiven Technologien gibt es auch bei Clean Meat einen weltweiten Wettlauf, welche Unternehmen und welche Standorte zuerst mit wettbewerbsfähigen Produkten auf den Markt kommen.
Politische Rahmenbedingungen spielen in dem Wettbewerb eine zentrale Rolle. Nur wenn die Politik innovationsfreundliche Bedingungen für Forschung und Entwicklung von kultivierten Produkten schafft, haben die hiesigen Unternehmen hier eine wirkliche Chance, mithalten zu können. Andernfalls drohen Deutschland und Europa erneut, bei einer zentralen Zukunftstechnologie gegenüber dem Silicon Valley, den asiatischen Staaten und in diesem Fall auch dem Nahen Osten ins Hintertreffen zu geraten, weil sie den Trend zu spät erkennen.
Ausgewählte Quellen:
- Website der internationalen NGO The Good Food Institute
- Website des Verbandes für Alternative Proteinquellen (BALPro)
- Artikel über künstliches Fleisch auf der Website der Sendung Quarks
- Artikel der Albert-Schweitzer-Stiftung über kultiviertes Fleisch
- Artikel über kultiviertes Fleisch auf der Website von Du und das Tier
- Studie von A.T. Kearney zur Entwicklung des Marktes für Fleischersatz (2019)