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Affe mit Megaphon als Titelbild für Artikel über speziesistische Sprache

Speziesistische Sprache: Wie wir Tiere in unserer Alltagssprache diskriminieren

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26. November 2020

Die Unterdrückung von gesellschaftlichen Gruppen drückt sich fast immer nicht nur in physischer Gewalt aus, sondern hinterlässt auch Spuren im Sprachgebrauch. Rassistische und sexistische Sprachmuster, bei denen sich die Diskriminierung anderer Menschen auf Ebene der Sprache fortsetzt und verfestigt, sind breit untersucht. Was bislang wenig thematisiert und problematisiert wird, ist speziesistische Sprache – also diskriminierende Sprache gegenüber anderen Tieren. 

Die Begriffe Rassismus, Sexismus und Ableismus beschreiben diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber bestimmten Individuen und Gruppen aufgrund eines spezifischen Merkmals. Für die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Artenzugehörigkeit, insbesondere aufgrund der Nichtzugehörigkeit zur Spezies Mensch, haben Tierrechtlerinnen und Tierrechtler den Begriff Speziesismus geprägt. Während der Gebrauch von rassistischer und sexistischer Sprache zumindest in den halbwegs progressiven Teilen der Gesellschaft tendenziell abnimmt, gibt es bislang keinerlei kritisches Bewusstsein im Hinblick auf speziesistische Sprache – jedenfalls nicht über den engen Kreis der Tierrechtsbewegung hinaus. 

Sprache als sanfte Gewalt

Sprache dient nicht nur der Kommunikation, sondern formt unsere Vorstellung von der Wirklichkeit. In ihr manifestieren sich gesellschaftliche Machtverhältnisse, insbesondere im Hinblick auf unseren Umgang mit Minderheiten. Im Hinblick auf das Mensch-Tier-Verhältnis wirkt die sprachliche Diskriminierung von Tieren vor allem wie folgt: 

  • Der Mensch wird in den Mittelpunkt allen weltlichen Geschehens gesetzt und entgegen den Gesetzen der Biologie aus dem Tierreich herausgelöst. Den anderen Tieren wird zugeschrieben, für die Befriedigung unserer Bedürfnisse auf der Welt und ansonsten unwichtig zu sein. 
  • Mit sprachlichen Distanzierungsmechanismen werden die ehemals lebendigen Tiere emotional auf Abstand gehalten und individueller Merkmale entledigt, damit sie als austauschbarer, konsumierbarer Rohstoff erscheinen und keine Empathie aufkommen kann.
  • Die hinter dem Schnitzel stehenden Vorgänge in der Tierhaltung und Tierverwertung werden unsichtbar gemacht und mit euphemistischen Umschreibungen verniedlicht – ganz wie auf den idyllischen Bauernhöfen auf der Kuhmilchpackung. 

Im Kern laufen alle Strategien des speziesistischen Sprachgebrauchs auf dasselbe hinaus, nämlich die Verbindung zwischen dem Schnitzel auf dem Teller und dem damit verbundenen Tier zu kappen. Wenn der Mensch bei seiner Mahlzeit keine emotionale Verbindung zu dem getöteten Tier aufbaut, dann entwickelt sich auch kein Störgefühl.

Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden einige Strategien auf Ebene der Sprache dargestellt, die genau das zum Ziel haben. Vielleicht ist Strategie auch der falsche Begriff. Denn die meisten dieser Sprachmuster nutzen wir nicht bewusst, sondern haben das seit unserer Kindheit so eingeübt. Indem wir Menschen speziesistische Sprache erlernen und weitergeben, reproduzieren wir fortwährend die anthropozentrische Sicht auf die Welt und die unhinterfragte Akzeptanz von Tierausbeutung. 

Dabei geht es – mir zumindest – nicht darum, dass Menschen von heute auf morgen über Jahrzehnte angeeignete Sprachmuster über Bord werfen und konsequent durch eine tiergerechte, anti-speziesistische Sprache ersetzen. Doch es wäre schon viel geholfen, wenn sich mehr Menschen die sprachlichen Mechanismen bewusst machen, mit denen emotionale Distanz zu anderen Tieren und zum Töten derselben produziert wird, um das Thema Tiere essen dem Bereich der Emotionen zu entziehen. 

1. Dichotomie: Den Menschen sprachlich aus der Tierwelt herauslösen

Ein denkbar einfacher Weg, Distanz zwischen Menschen und den von ihnen genutzten Tieren aufzubauen, ist so zu tun, als seien Menschen selbst keine Tiere. Die Wendung ‘Menschen und Tiere’ rückt den Menschen in eine Sonderstellung und vermittelt den Eindruck, als stünde der Mensch außerhalb der Tierwelt bzw. hierarchisch über der Tierwelt. Das ignoriert jedoch, dass Menschen per Definition Tiere sind. Es gibt deutlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Tierarten Mensch, Affe und Schwein, als es zwischen jeder dieser Säugetierarten auf der einen Seite und Vögeln, Reptilien, Insekten und Fischen auf der anderen Seite gibt.

Das macht es problematisch, die Sammelbezeichnung ‘Tiere’ in Abgrenzung zum Menschen zu gebrauchen. Denn dadurch wird die Spezies Mensch dichotom einer fiktionalen Kategorie ‘Tiere‘ gegenübergestellt, die von einfachen Einzellern bis hin zu Lebewesen mit hochkomplexem Sozialverhalten alle anderen Tiere umfasst. Implizit werden durch diesen Sprachgebrauch die menschliche Art auf- und alle anderen Tierarten abgewertet. Verfechter einer anti-speziesistischen Sprache schlagen daher vor, nicht von ‘Tieren’ sondern von ‘nicht-menschlichen Tieren’ zu sprechen. Auch wenn das sicher seine Berechtigung hat, dürfte das vielen Menschen zu sperrig für den alltäglichen Gebrauch erscheinen. Es würde aber schon helfen, die Wendung ‘Menschen und Tiere’ durch ‘Menschen und andere Tiere’ zu ersetzen.

Noch subtiler wirkt das Wort ‘tierisch’. Auf den ersten Blick wirkt es unverfänglich, doch aufgrund seiner Endung ist es ebenfalls ein Beispiel für speziesistischen Sprachgebrauch. Es gibt einfach Endungen, die unabhängig vom Wortstamm positiv konnotiert sind, und andersherum Endungen, die negativ auf den Empfänger wirken (Vermutlich hat es der Veganismus auch deshalb besonders schwer, weil er sich als ‘-ismus’ in den Köpfen nahtlos einreiht in Faschismus, Stalinismus etc.). So verhält es sich auch mit dem Wort ‘tierisch’. Die Endung ‘-isch’ bezeichnet häufig negative Eigenschaften. Wörter mit der Endung ‘-lich’ sind hingegen in der Regel positiv konnotiert und beschreiben wünschenswerte Eigenschaften wie ‘niedlich’. So macht es einen großen Unterschied, ob jemand als ‘weiblich’ oder ‘weibisch’ bezeichnet wird, und auch zwischen den Bedeutungen von ‘kindlich’ und ‘kindisch’ liegen Welten. Das mag zunächst etwas spitzfindig klingen, aber warum sagen wir ‚menschlich‘ und ‚pflanzlich‘, aber nicht ‚tierlich‘?

Beispiel für speziesistische Sprache: Der Mensch wird aus der Tierwelt herausgelöst und ihr gegenübergestellt

2. Verfremdung: Gemeinsamkeiten zwischen den Arten sprachlich verschleiern

Eigentlich haben Menschen und andere Tiere vieles gemeinsam, auf Ebene der Sprache wird aber vieles dafür getan, das bestmöglich zu verschleiern. So hält die menschliche Sprache für ein und dieselben Lebensaktivitäten in fast allen Bereichen völlig andere Begrifflichkeiten parat: Im allgemeinen Sprachgebrauch essen und trinken Tiere nicht, in den meisten Fällen ‘fressen’ und ‘saufen’ sie. Zwei Begriffe, die in Verbindung mit Menschen nur gebraucht werden, um Maßlosigkeit und rüpelhaftes Benehmen anzuprangern.

Gleiches gilt für die Fortpflanzung: Eine Kuh trägt ihren Nachwuchs wie eine Frau neun Monate lang in sich, gebärt das Kind und versorgt es am Anfang des Lebens über Muttermilch mit notwendigen Nährstoffen. Um diese offensichtlichen Gemeinsamkeiten effektiv zu verschleiern, nutzt der Mensch ganz andere Begrifflichkeiten: Kühe, Schweine, Schafe etc. gebären in unserem Sprachgebrauch nicht, sondern ‘werfen’ oder ‘kalben‘, und sie sind auch nicht schwanger, sondern ‘trächtig’. Dem voran geht nicht etwa Sex, sondern ‘Begattung‘. Die Kinder werden dann auch nicht Kinder und schon mal gar nicht Babys genannt, sondern ‘Ferkel’, ‘Kälber’, ‘Lämmer’ etc. Es wäre ja auch schwierig, schon auf sprachlicher Ebene einzuräumen, dass wir Kinder anderer Spezies essen, lange bevor sie ausgewachsen sindDie Mutterliebe‘ wird zum Mutterinstinkt‘ degradiert. Und überhaupt reden wir bei nichtmenschlichen Tieren nicht von Familien oder einer Gemeinschaft, sondern von Beständen‘, Herden‘ und Populationen‘.

Auch für das Ende des Lebens nutzt der Mensch völlig unterschiedliche Begrifflichkeiten. Tiere sterben nicht, sondern sie ‘verenden’ oder krepieren‘. Tiere werden nicht getötet, sondern sie werden geschlachtet‘, gekeult‘ und im Jagdjargon lethal entnommen‘. Der tote Körper von Menschen wird als Leichnam bezeichnet, für andere Tiere haben wir den Begriff Kadaver‘ entwickelt. Schmerz und Leid sind in unserem Sprachgebrauch den Menschen vorbehalten, bei anderen Tieren sprechen wir von Stress‘.

Die Vorgänge sind die gleichen wie beim Menschen, aber durch sprachliche Verfremdung wird Distanz zum Rest der Tierwelt aufgebaut. So transportiert die speziesistische Sprache die Vorstellung, dass andere Tiere wesenhaft anders und minderwertig sind und dass sie nicht in die menschliche Vorstellung von Moral einbezogen werden müssen. Diese Form der sprachlichen Verfremdung findet sich bei allen Tierarten, allerdings deutlich stärker bei sogenannten ‘Nutztieren‘. Bei ‘Haustieren‘ kommt es schon eher mal vor, dass ein junges Hundebaby auch so genannt wird statt ‘Welpe‘. Dort ist die Notwendigkeit auch geringer, durch Sprache emotionale Distanz zu schaffen, denn diese Tiere landen ja nicht filetiert auf unserem Teller.       

Durch unterschiedliche Begriffe für die selben Aktivitäten werden die Gemeinsamkeiten zwischen den Arten verschleiert

3. Instrumentalisierung: Tiere durch Sprache auf einen Zweck reduzieren 

Ein besonders wirksames Mittel im speziesistischen Sprachgebrauch ist es, Tieren einen auf den Menschen bezogenen Zweck zu unterstellen und sie gleichsam auf diesen zu reduzieren. Besonders offensichtlich ist das bei dem Begriff ‘Nutztiere’, der Tiere wie Schweine, Rinder, Schafe und Hühner jeder Eigenbestimmtheit beraubt und sie zu bloßen Mitteln für das Befriedigen von menschlichen Bedürfnissen degradiert. Ähnlich funktionieren die Begriffe ‘Milchkuh’, ‘Legehenne’ oder ‘Masthähnchen’. Es sind künstliche Wortschöpfungen, die einen vermeintlich natürlich vorbestimmten Zweck konstruieren. Wer ‘Milchkuh’ sagt, unterstellt damit bewusst oder unbewusst, dass Kühe dafür geboren sind, Milch zu produzieren. Das sind sie jedoch ebenso wenig, wie eine Frau dafür geboren ist, menschliche Muttermilch zu produzieren. 

Auch anderen Tieren wird auf diese Weise ein von der Natur vorbestimmter Zweck unterstellt: Ein ‘Zirkustier’ ist genauso wenig dafür geboren, für die Unterhaltung von Kindern gequält zu werden, wie ein ‘Rennpferd’ für Pferderennen vorgesehen ist. Und auch beim Haustier‘, dem Gegenstück zum vermeintlichen ‘Nutztier‘, ist die Einschreibung des Nutzens in den Begriff problematisch: Hunde, Katzen und Meerschweinchen mögen ein deutlich besseres Leben haben als Tiere, denen das Label des ‘Nutztieres’ anhängt. Dennoch ist es genauso speziesistisch, die Tiere nur in ihrer auf den Menschen bezogenen Eigenschaft als Hobby zu sehen. Neben den ‘Nutztieren’ und den ‘Haustieren’ hat der Mensch für seine Sicht der Welt noch eine dritte Kategorie aufgemacht, die ‘Wildtiere’. Es ist bezeichnend, dass jene Lebewesen, die sich nicht in menschlicher Obhut bzw. Knechtschaft befinden, in unserer Vorstellung nicht ‘frei’ sondern ‘wild’ leben. 

Eng verbunden mit der Einschreibung des Nutzens in die Bezeichnung für ein Tier ist die Konnotation von Eigentum. Andere Tiere sind nicht entstanden, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, und sie existieren auch nicht nur auf den Menschen bezogen. Dennoch denken Menschen, dass sie über Tiere verfügen können wie über Eigentum. Das manifestiert sich auch im Sprachgebrauch. Das Wort ‘Tierhalter’ zum Beispiel suggeriert, dass das Tier dem Menschen gehört, so wie der VW Golf dem Autohalter gehört. Problematisch ist auch, wenn ein vegane Ernährung als ‘Verzicht auf tierische Produkte’ bezeichnet wird. Verzichten kann ich nur auf Dinge, die mir gehören oder auf die ich einen Anspruch habe.

Eine Strategie der speziesistischen Sprache ist es, andere Tiere sprachlich auf einen Zweck zu reduzieren

4. Objektivierung: Distanz zwischen Schlachthof und Teller schaffen

Wichtig für das ungetrübte Gewissen beim Essen ist es, Distanz zu schaffen zwischen dem, was in den Tierhaltungsbetrieben vor sich geht, und dem, was auf unserem Teller liegt. Auf der Sachebene hat die Agrarindustrie diese Distanz geschaffen, indem sie die Tierfabriken aus unserem Blickfeld gerückt hat: in dünn oder gar nicht besiedelte Gebiete außerhalb der Städte, in nicht für die Öffentlichkeit zugängliche Tierfabriken und Schlachthäuser. Tiertransporte finden vor allem in den frühen Morgenstunden statt und werden so ebenfalls dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Gelegentliche ungeschönte Einblicke in den Horror der Intensivtierhaltung gibt es nur deshalb, weil Aktivistinnen und Aktivisten regelmäßig unter großem privaten Risiko Bilder davon einfangen. Und schließlich erinnern auch die abstrakten Formen des Fleischs im Supermarkt nur noch rudimentär an die dafür gestorbenen Lebewesen. 

Auch auf Ebene der Sprache wird mit allerlei Kunstbegriffen verschleiert, dass es sich bei einem großen Teil unseres Essens um Körperteile und Körpersekretionen handelt. Wir hantieren in unserer Sprache mit Begriffen, die nicht mehr an Körperteile denken lassen, sondern das Tier zum reinen Rohstoff werden lassen: ‘Steak’, ‘Schnitzel’, ‘Speck’ und ‘Wurst‘ sind nicht Körperteile, sondern künstliche Wortschöpfungen aus der Welt der Kulinarik. Nachdem das Tier körperlich zerlegt wurde, wird es auch sprachlich zerlegt in einzelne Teile, die kaum mehr auf das getötete Tier verweisen. Perfektioniert ist diese Strategie im Englischen. Das Tier wird dort stärker noch als im Deutschen ersetzt durch ‘Meat’, ‘Beef’, ‘Pork’, ‘Veal’, ‘Poultry’ und andere Kunstvokabeln. 

Ähnlich verhält es sich bei Kleidung: Auch ‘Leder’, ‘Wolle’ und ‘Pelz’ sind Kunstwörter, die verschleiern, dass es sich eigentlich um Körperteile getöteter oder ausgebeuteter Tiere handelt. Jeder weiß irgendwie, dass es sich eigentlich um Tiere handelt, aber durch diese sprachliche Barriere wird es den Menschen leicht gemacht, diese Verbindung im Alltag zu vergessen. 

Umbenennung von Tierteilen in Begriffe wie Steak und Schinken

5. Anonymisierung: Lebewesen in einer homogenen Masse verschwinden lassen

Eine zentrale Strategie zur Vermeidung von Gewissensbissen ist es, den individuellen empfindungsfähigen Lebewesen diese Eigenschaften zu rauben, damit sie von den Menschen nicht mehr als solche zu erkennen sind. Auf der Sachebene geschieht das, indem die Tiere durch Züchtung so gehalten werden, dass sie möglichst gar keine individuellen Merkmale mehr ausbilden. In der perfekten Tierfabrik sehen alle Tiere gleich aus. Zudem bekommen sie keine Namen, sondern unpersönliche Nummern und Barcodes.

Auf Ebene der Sprache gibt es ebenfalls Stilmittel, um Tiere individuelle Merkmale abspenstig zu machen. Wenn ich im Restaurants nicht ohnehin ein Produkt bestelle, dessen Bezeichnung nicht mehr auf das getötete Tier verweist, dann wähle ich in der Regel zwischen ‘Schwein’, ‘Rind’, ‘Hühnchen’ und ‘Fisch’ aus. Diese Verwendung der Wörter im Gruppensingular beraubt die einzelnen Lebewesen hinter diesen Etiketten jedweder Individualität. Wenn ich ‘Schwein’ esse, dann wird das empfindungsfähige Schwein, das für den Braten leiden und sterben musste, zu einem Rohstoff wie Stahl oder Weizen. Das individuelle Tier wird austauschbar und Teil einer homogenen, essbaren Masse, die keine Individuen kennt. Auch Rehe, Hirsche, Wildschweine usw. werden gern hinter dem Gruppensingular Wild‘ versteckt.

Mit solchen abstrahierenden Gruppenbezeichnungen, die vom individuellen Lebewesen wegführen, werden die einzelnen Tiere für die Verbraucher unsichtbar. Das macht es für die Menschen einfacher, sich emotional zu distanzieren. Sie müssen sich nicht auf das Tier als eigenständiges Subjekt einlassen, eventuelle Gewissenskonflikte werden unterdrückt.

Individuelle Lebewesen werden sprachlich zu einer homogenen Masse umgedeutet

6. Inszenierung: Natürlichkeit und Freiwilligkeit durch Sprache vortäuschen

Am effektivsten lassen sich Schuldgefühle beim Konsum von Tierprodukten vermeiden, wenn man den Menschen das Gefühl gibt, dass Fleischessen etwas natürliches ist und dass wir dem geschlachteten Tier noch einen Gefallen damit tun, wenn wir es essen. Diese Natürlichkeit wird zum einen durch Argumente produziert: Der Mensch bekomme bestimmte Nährstoffe nur über Tierprodukte, der Löwe würde ja schließlich auch Fleisch essen, in der Evolution habe der Mensch nur durch Fleischkonsum punkten können, der Mensch habe Eckzähne usw. Die meisten dieser sogenannten Argumente sind wissenschaftlich widerlegter Blödsinn, halten sich aber trotzdem hartnäckig in den Köpfen der Menschen und in den Kommentarspalten im Netz. 

Zum anderen wird diese Natürlichkeit aber auch mit speziesistischer Sprache produziert. Wenn wir bei Schweinen davon sprechen, dass sie ihre ‘Schlachtreife’ erreicht haben, dann suggerieren wir damit, dass das Halten und Töten von Tieren ein natürlicher Prozess ist, dem wir uns lediglich fügen. Dass die Schweine zu diesem angeblich geeigneten Todeszeitpunkt noch im Kindesalter sind und mit ‘Schlachtreife’ lediglich der Moment bezeichnet wird, an dem es für den Landwirt am wirtschaftlichsten ist zu schlachten, wird in diesem Wort komplett verschleiert. Eine wirtschaftliche Kategorie wird zu einer naturgegebenen Eigenschaft umgedeutet. Zudem verweist das Wort Reife auf die Pflanzenwelt, in der man die reife Frucht nur noch ernten muss. Das ist ein Mechanismus, der sich auch an zahlreichen anderen Worten feststellen lässt: Viele Meeresfrüchte werden sprachlich nicht etwa ‘gefangen’ sondern ‘geerntet’, was das alles sehr viel natürlicher und moralisch weniger fragwürdig erscheinen lässt.

Mit sprachlichen Mitteln täuschen wir zudem vor, dass sich die genutzten Tiere freiwillig in unseren Dienst stellen. Die Formulierung Milch geben‘ legt nahe, dass die Kuh gern für die Erfüllung unserer Bedürfnisse zur Verfügung steht. Hier wird durch Sprache unterstellt, dass die Produktion von Muttermilch quasi eine Art Lebensaufgabe der Kuh ist, der diese gerne nachkommt. Auch wenn wir in einer aktiven Formulierung sagen, dass die weiblichen Kühe in die Milchproduktion gehen‘ oder dass die männlichen Exemplare in die Mast gehen‘, dann täuschen wir vor, dass sie dies aus eigenem Antrieb tun. Diese Stilmittel im speziesistischen Sprachgebrauch wirken sehr subtil, aber sie leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dabei, Gewissensbisse zu reduzieren.

Vortäuschung von Freiwilligkeit als Beispiel für einen speziesistischen Sprachgebrauch

7. Euphemismus: Tierausbeutung mit niedlicher Sprache verharmlosen

Trotz aller Bemühungen der Agrarindustrie, die Tierhaltung der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu entziehen, ist das Thema durchaus präsent. Dennoch tragen Industrie und Politik dafür Sorge, dass niemand ein schlechtes Gewissen beim Schnitzelessen bekommen muss. Nicht nur mit Produkt- und Verpackungsdesign, das eine heile Welt mit viel ‘Tierwohl’ verspricht, sondern auch auf Ebene der Sprache. Denn die industrialisierte Gewalt an den sogenannten ‘Nutztieren‘ wird systematisch durch verniedlichende Sprache unsichtbar gemacht:

  • Schon der Begriff ‘Fleischproduktion‘ klingt aseptisch und erinnert an eine rein technische, moralisch nicht zu hinterfragende Tätigkeit. Solche Vokabeln durchziehen den gesamten Fachjargon der Fleischindustrie: ‘Schnittführung‘, ‘Produktionsprozess‘, ‘Automatische Zerlegung‘, ‘Verarbeitung‘, ‘Veredelung‘ – wenig daran erinnert an das ehemals lebendige Tier.
  • Statt von Tierfabriken sprechen wir beschönigend von ‘Bauernhöfen’ und ‘landwirtschaftlichen Betrieben’, von unseren ‘Bauern’ und ‘Landwirten’. Die gibt es auch im System, aber die Realität der Intensivtierhaltung und Leiharbeiter in den Schlachthäusern tritt dahinter zurück. 
  • Minimale Anpassungen im System der Massentierhaltung werden mit Vokabeln wie ‘Verbesserung des Tierwohls‘ und ‘mehr Stallkomfort‘ euphemistisch verklärt. Bei den wenigen Tieren, die ein klein wenig mehr Platz und Auslauf bekommen als der Rest und ein paar weniger Medikamente, spricht die Agrarindustrie beschönigend von ‘artgerechter Haltung‘.
  • Grausame Praktiken werden hinter technischen Vokabeln versteckt, die kein Störgefühl verursachen: Körperteile werden nicht amputiert, sondern ‘kupiert‘. Kälber, die kurz nach der Geburt von ihren Müttern getrennt werden, werden ‘abgesetzt‘. Die Anzahl der Ferkel, die drei Wochen nach der Geburt noch leben, bestimmt die ‘Wurfleistung‘ einer Muttersau. Ein nicht hinreichend betäubtes Tier, das im Brühbad noch lebend wieder aufwacht, wird im Jargon der Tierindustrie ‘Matrose‘ genannt (geht es noch zynischer?).
  • Die Tötung einer ganzen Herde, zum Beispiel aufgrund einer Tierkrankheit, wird zur ‘Bestandsräumung‘. Überhaupt wird das Töten hinter allerhand Vokabeln versteckt: ’schlachten‘, ‘keulen‘, ‘einschläfern‘.
  • Als ‘Tierquälerei‘ wird das Quälen von Tieren nur dann bezeichnet, wenn entweder niedliche ‘Haustiere’ die Opfer sind oder wenn die kritisierte Praxis nicht mit der Gesetzeslage konform ist. Die tierquälenden Praktiken der Intensivhaltung, die nicht explizit gegen das Gesetz verstoßen, werden hingegen nicht ‘Tierquälerei‘ genannt. Tut man dies doch, gilt das als ‘extrem‘.  

Eingeübt ist der euphemistische Sprachgebrauch nicht nur in der Massentierhaltung, sondern auch im Jagdjargon. Jägerinnen und Jäger haben sich ein besonders ausgefeiltes System von verniedlichenden Umschreibungen einfallen lassen, um ihr Hobby vor sich und dem Rest der Welt zu rechtfertigen. Vom Töten von Tieren, was der Kern der Jagd ist, liest man explizit sehr selten. Stattdessen werden ‘Bestände angepasst‘, die frei lebenden Tiere werden der Natur ‘entnommen’, ‘gestreckt’ oder ganz einfach ‘genutzt’. Am ehesten an das Töten erinnert noch das Verb ‘erlegen‘, ansonsten wird das Töten größtenteils abstrakt umschrieben.

Beispiele für eine Verharmlosung der Tierhaltung durch beschönigende Sprache

8. Metapher: Stereotypen zur Beleidigung von Menschen nutzen

Alle bislang aufgeführten sprachlichen Mittel zementieren auf eine kaum wahrnehmbare Weise eine speziesistische Weltsicht, in der der Mensch im Mittelpunkt allen Geschehens steht und andere Tiere nur auf ihn und seine Bedürfnisse bezogen existieren. Neben diesen subtilen Sprachmustern gibt es aber auch noch ganz und gar nicht subtile Mittel der Herabsetzung anderer Tiere: Es dürfte kaum ein Tag vergehen, an dem wir nicht mit einer Beleidigung in Berührung kommen, bei der Menschen auf gehässige Weise mit Tieren verglichen werden. Meist versehen mit einem wertenden Adjektiv, das nicht nur dem oder der Beleidigten sondern auch dem referenzierten Tier eine Charaktereigenschaft unterstellt: ‘dumme Kuh’, ‘dreckige Sau’, ‘sturer Ochse’. Dabei sind die Eigenschaften, die den Tieren unterstellt werden, vollkommen willkürlich und lassen sich vielleicht aus Fabeln und Märchen ableiten, nicht jedoch aus dem Charakter dieser Spezien. Weder ist eine Kuh besonders dumm, noch ist ein Ochse stur, und dreckig sind Schweine nur dann, wenn der Mensch sie auf Vollspaltenböden in ihren eigenen Fäkalien hält. 

In vielen Fällen reicht auch einfach die Tierbezeichnung, denn der unterstellte Charakterzug ist von uns verinnerlicht: Wenn jemand als ‘Schlange’ (betrügerisch), ‘Ratte’ (hinterhältig), ‘Sau’ (dreckig) oder ‘Luchs’ (listig) bezeichnet wird, wissen wir in der Regel sofort, auf welche stereotype Eigenschaft da angespielt wird. Wenn wir das Verhalten von jemandem ‘affig’ nennen, müssen wir auch nicht weiter erläutern, was wir damit meinen. Auch wenn wir jemanden schlicht Tier‘ nennen oder bestialisch‘, gilt das bereits als Ausweis von Minderwertigkeit.

Auch zahlreiche abwertende Redewendungen leben von stereotypen Vorurteilen über bestimmte Tierarten. Wenn ein Mensch sagt, dass er ‘wie ein Schwein schwitzt’, dann reproduziert er damit eine Vorstellung von Schweinen als dreckige Tiere. Dass Schweine gar nicht schwitzen können, spielt dabei keine Rolle. Auch ansonsten kennt die deutsche Sprache viele speziesistische Redewendungen zur Beleidigung von Menschen: ‘Du machst dich zum Affen’, ‘Du hast einen Vogel’, ‘Ich zieh dir das Fell über die Ohren’, ‚Die Ratten verlassen das sinkende Schiff‘, ‘Halt die Schnauze’ etc.

Stereotypen wie 'Dumme Kuh' zur Beleidung von Menschen nutzen

Fordert die Sprachpolizei jetzt eine anti-speziesistische Sprache?

Die Erfahrung aus anti-rassistischen und anti-sexistischen Bewegungen zeigt eindrücklich, mit wie viel Häme und Unverständnis die Gesellschaft auf Versuche reagiert, Diskriminierungen auf Ebene der Sprache offenzulegen und zu überwinden. Es finden sich immer noch genug Menschen, die zu viel ‘Political Correctness’ beklagen und sich nicht verbieten lassen wollen, ‘Negerkuss’ und ‚Zigeunerschnitzel‘ zu sagen. Besonders gut funktionieren diese Abwehrreflexe beim Thema gendergerechte Sprache, und es würde mich stark überraschen, wenn es bei der Kritik an speziesistischer Sprache nicht noch viel schlimmer wäre. Dabei geht es gar nicht darum, dass Menschen von einem auf den anderen Tag über Jahrzehnte eingeübte Sprachmuster verwerfen, sondern dass sich mehr Menschen der Tatsache bewusst werden, wie sehr wir andere Tiere auf allen Ebenen diskriminieren und dass dieses System durch unsere speziesistische Sprache legitimiert und gefestigt wird. 

Auch wenn es in absehbarer Zeit nicht realistisch ist, dass die Menschen auf sprachlicher Ebene einen anderen Umgang mit anderen Tieren einüben, gibt es dennoch niedrigschwellige Dinge, die jeder beachten kann, ohne dass Texte nicht mehr anschlussfähig werden. Wörter wie ‘Nutztier’ und ‘Milchkuh’ lassen sich ohne Weiteres aus dem eigenen Sprachgebrauch verbannen. Und wenn man diese Wörter doch nutzt, lässt sich zumindest mit Anführungszeichen signalisieren, dass damit irgendetwas nicht stimmt. Das Wort ‚Nutztiere‘ lässt sich im Übrigen auch durch ‚genutzte Tiere‘ ersetzen. Speziesistische Sprache im Alltag lässt sich auch vermeiden, indem man grobe Euphemismen wie ‘artgerechte Tierhaltung‘ und ‘Tierwohl‘ aus seinem Vokabular streicht. Und beleidigende Tiermetaphern, die nicht nur Menschen diskreditieren, sondern auch den Tieren schlechte Eigenschaften unterstellen, braucht wirklich niemand. Wer sich für weitere Vorschläge für eine anti-speziesistische Sprache interessiert, dem seien zum Beispiel die Masterarbeit von Sandra Mahlke und ein Vortrag von Kevin Pottmeier empfohlen.


Ausgewählte Quellen:

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